Die Insel des vorigen Tages by Umberto Eco

Die Insel des vorigen Tages by Umberto Eco

Autor:Umberto Eco
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-09-07T09:11:51+00:00


Kurz und gut, wenn wir akzeptieren würden, dass Pater Caspar von jenem Meridian ausgegangen war und dass er die richtige Länge gefunden hatte, müssten wir annehmen, dass er, obwohl er als Navigator den Kurs richtig bestimmt hatte, als Geograph gescheitert war; denn die Daphne wäre dann eben nicht bei unseren Salomon-Inseln angelangt, sondern irgendwo westlich der Neuen Hebriden und Amen. Aber es gefällt mir nicht, eine Geschichte zu erzählen, die, wie wir noch sehen werden, auf dem hundertachtzigsten Längengrad spielen muss – sonst verlöre sie jeden Reiz –, und stattdessen hinzunehmen, dass sie wer weiß wie viele Grade weiter hüben oder drüben spielt.

Ich erwäge daher eine Hypothese, die zu widerlegen ich jeden Leser herausfordere: Was, wenn Pater Caspar sich so sehr geirrt hätte, dass er, ohne es zu wissen, auf unserem hundertachtzigsten Längengrad angelangt war? Ich meine auf dem, den wir von Greenwich an zählen – dem letzten Punkt auf der Welt, an den er hätte denken können, lag er doch im Lande antipapistischer Schismatiker.

In diesem Fall hätte die Daphne sich bei den Fidschi-Inseln befunden (wo die Eingeborenen tatsächlich sehr dunkelhäutig sind), genau an der Stelle, wo heute unser hundertachtzigster Längengrad verläuft, also bei der Insel Taveuni.

So würde die Rechnung aufgehen. Die Silhouette von Taveuni zeigt eine vulkanische Bergkette wie die der großen Insel, die Roberto im Westen sah. Wenn Pater Caspar nur nicht gesagt hätte, dass der schicksalhafte Meridian genau vor der Insel im Osten verlief. Denn wenn wir uns westlich des Meridians befinden, sehen wir Taveuni im Osten und nicht im Westen liegen; und wenn man im Westen eine Insel sieht, die Robertos Beschreibungen zu entsprechen scheint, dann gäbe es zwar im Osten einige kleinere Inseln (ich würde für Qamea optieren), aber dann ginge der Meridian im Rücken dessen vorbei, der auf die Insel unserer Geschichte blickt.

Die Wahrheit ist, dass es sich mit den Angaben, die Roberto macht, unmöglich klären lässt, wo die Daphne lag. Im übrigen sind diese Inselchen alle wie die Japaner für die Europäer und umgekehrt: sie sehen sich alle gleich. Ich hab's nur mal erwägen wollen. Eines Tages würde ich gerne Robertos Reise wiederholen, auf der Suche nach seinen Spuren. Aber eine Sache ist meine Geographie und eine andere seine Geschichte.

Bleibt uns als einziger Trost, dass all diese Spitzfindigkeiten aus der Sicht unseres ungewissen Romans völlig irrelevant sind. Was Pater Caspar zu Roberto gesagt hatte, war, dass sie sich auf dem hundertachtzigsten Meridian befanden, dem Meridian der Antipoden, und auf diesem hundertachtzigsten Meridian liegen nicht unsere Salomon-Inseln, sondern seine Insulae Salomonis. Was spielt es dann für eine Rolle, ob sie wirklich dort liegen oder nicht? Diese Geschichte wird, wenn überhaupt, die Geschichte von zwei Personen, die dort zu sein glauben, nicht von zwei Personen, die dort sind, und wer Geschichten hören will – ein Dogma unter den Liberalsten –, der muss seine Ungläubigkeit suspendieren.

Deshalb sage ich: die Daphne befand sich am hundertachtzigsten Meridian, genau bei den Inseln Salomons, und unsere Insel war – unter den Inseln Salomons – die salomonischste, so salomonisch wie auch mein Schiedsspruch ist, und damit ein für alle Mal basta.



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